Wie derzeit von Medien berichtet wird, melden immer mehr Eltern ihre Kinder vom Unterricht ab kommenden Herbst ab. Ist das gut für die Kinder?

 

Zunächst einmal sei bemerkt, dass wir in Österreich während der letzten Monate kein Home-Schooling hatten.

In Österreich hatten wir während der Lock-down-Phasen der Schulen Home-Learning und nicht Home-Schooling.

Was genau ist der Unterschied?
Sehr einfach ausgedrückt: Bei Home-Learning wird zu Hause gelernt, aber die Verantwortung für den Lernstoff und vor allem für die Vermittlung des Lernstoffes liegt bei der Schule, also bei den jeweiligen LehrerInnen. Bei Home-Schooling wird auch zu Hause gelernt, aber die Verantwortung für Lernstoff und Vermittlung liegt bei den Eltern. Nun werden sich viele Eltern sagen: Die paar Schulbücher kann ich auch alleine besorgen, dazu braucht ich keine Schule und das ständige Auf-und-Ab wann das Kind wieder in die Schule gehen kann oder soll, das ist nicht gut für die Kinder und das gebe ich mir nicht mehr. Die soziale Seite des Lernens ist für Kinder auch bei Home-Learning belastend.

So weit, so verständlich und nachvollziehbar. Die Frage ist nur, inwieweit sich die Situation durch „Home-Schooling“ wirklich nachhaltig verbessert für SchülerInnen und betroffene Eltern.

Und hier kommt neben eine Komponente ins Spiel, die häufig übersehen wird:
Die Kunst der Lernstoffvermittlung durch LehrerInnen, die sogenannte Didaktik.
Diese Fähigkeit ist nicht wirklich sichtbar, im Gegenteil, bei einem Lehrer oder einer Lehrerin, die das gut können, bemerkt man sie gar nicht. Genau diese Fähigkeit ist aber – je nach Schulart, also Kindergarten, Volksschule, Mittelschule oder Gymnasium – einer der wesentlichsten Pfeiler der Lehrerausbildung und wird üblicherweise übersehen.

Es ist ähnlich, wie wenn man einem Maler oder einer Malerin beim Malen zusieht. Fast spielerisch wird der Pinsel über das Papier oder die Leinwand geführt. Am Anfang erkennt man als ZuseherIn noch gar nicht, wie die einzelnen Teile zusammengehören und plötzlich ist ein Bild entstanden, das lebendig und ausdrucksstark ist. Da ist man schnell verleitet zu denken: Wenn das so einfach ist, dann kann ich das ja auch. Bis man dann zum Pinsel greift und es selber versucht und drauf kommt: So einfach war es ja nicht. Es fehlt die Technik, es fehlt die Erfahrung und vielleicht auch die Begabung. Die Kunst des Malens ist unsichtbar und die Kunst des Unterrichtens auch. Aber deswegen ist sie nicht weniger wichtig, sondern eigentlich ausschlaggebend. Selbst zu Hause zu unterrichten ist nicht so einfach, wie es auf den ersten Blick aussieht.

Wenn Eltern keine facheinschlägige Ausbildung haben, ist die Gefahr groß, dass bei Home-Schooling ab Herbst das böse Erwachen kommt. Das Kind ist nicht motivierter, der Alltag wird für Eltern viel mühsamer und mit fortschreitender Dauer des Schuljahres wird die Situation immer unübersichtlicher. Schließlich soll ja am Ende des Schuljahres eine Prüfung abgelegt werden, bei der der Jahresstoff überprüft wird. Diese Überprüfung ist zwar im Herbst noch in weiter Ferne, aber je weiter das Schuljahr fortschreitet, desto geringer werden die Möglichkeiten, Lücken noch auszubessern. Diese Situation alleine ist ein immenser Druck für Kinder.

Und die Beschaffung von Unterrichtsmaterialien ist auch nicht so einfach. Das Wort „Lernpakete“ vereint zwar in einem Wort, was Eltern im vorigen Schuljahr in der Schule abholen konnten, aber die Arbeit von LehrerInnen, die hinter der Erstellung von Lernpaketen steckt, ist damit nicht erfasst.

Nicht zuletzt: Die Prüfung oder möglicherweise zwei Prüfungen über den gesamten Stoff! Quasi eine vorgezogene Matura für Volksschüler? Ich weiß, das ist übertrieben, aber bitte versetzen Sie sich in die Lage Ihres Kindes. Es wird von einer fremden Person geprüft und muss alle seine Leistungen vorzeigen. Selbst wenn sich die Prüfungen auf zweimal verteilen, ist dies eine gewaltige emotionale Belastung für das Kind. und übrigens: Bestehen muss Ihr Kind die Prüfung auch. Die Gefahr, dass einem Kind eine Abstufung oder eine Wiederholung der Klasse dadurch ins Haus steht, ist nicht zu vernachlässigen.

Auf längere Sicht gesehen bedeutet home-schooling für Kind und Eltern unter anderem:

  • Keine Klassengemeinschaft mehr – es könnte sozial an den Rand kommen
  • Große Unsicherheit für unterrichtende Eltern bei der Verteilung des Lehrstoffes – wie schnell soll man vorgehen? Wie folgen Stoffkapitel aufeinander
  • Unsicherheit bei der Tageseinteilung: wie sollen Unterrichtseinheiten auf einander folgen? Wie oft Pausen? Wie hält man es mit den Hausübungen?
  • Wie macht man Schulstoff für das kindliche Gehirn interessant?
  • Je näher die Prüfung rückt, desto höher wird der Stress für das Kind – schaffe ich das wirklich, mit jemandem Fremden, und so viel auf einmal, …..?

Bitte überlegen Sie als Eltern gut, ob Sie diese gesamte Verantwortung wirklich tragen möchten und Sie sich und Ihrem Kind nicht mit einer Abmeldung von der Schule zu viel zumuten.
Wenn Sie als Eltern unsicher sind, ob Sie Ihr Kind wirklich vom Unterricht abmelden sollen, senden Sie mir Ihre Fragen einfach an info(at)lernenplus.at. Ich werde versuchen, Sie unverbindlich zu unterstützen in Ihrer Entscheidungsfindung.